Eine Fabel: „Rudi, der Regenwurm: Auf der Suche nach sich selbst“ 🪱

Es war einmal ein kleiner Regenwurm namens Rudi, der tief in der Erde lebte. Dort lebte er mit seinen Regenwurm-Eltern. Gegenüber lebte auch eine Regenwurm-Familie und dort lebte Francis.  Rudi beobachtete Francis seit einiger Zeit und wäre gerne mal vorbei gegangen, damit sie sich kennenlernen. Aber eines Tages kam ihm ein komischer Gedanke, der ihn nicht mehr losließ: „Was für ein Geschlecht habe ich eigentlich?“.

Zuerst fragte er das seine Eltern. Seine Eltern runzelte nachdenklich die Stirn:

„Darüber haben wir nie nachgedacht, Junge. Ist das denn so wichtig?“

„Für mich schon, sagte Rudi. Letztens habe ich zwei Grillen gesehen, die miteinander geschmust haben und als ich die eine Grille fragte, wie man jemand zum Schmusen findet, antwortete er:

„Naja, als Grillen-Junge bin ich losgeflogen und habe Ausschau nach Grillen-Weibchen gehalten. Dann flog mir Mia eines Tages entgegen und wir beide fanden uns gut und so kam es dann dazu. Jetzt sind wir zusammen!“

„Bin ich denn ein Regenwurm-Männchen oder -Weibchen?“ fragte Rudi seine Eltern nochmal genauer. Jedoch konnten seine Eltern diese Frage nicht beantworten und so beschloss Rudi, sich auf die Suche nach einer Antwort zu machen.

Zuerst begegnete er einem stattlichen Frosch, der am Ufer eines Teichs saß. „Hallo Frosch,“ sagte Rudi schüchtern, „ich habe eine Frage: Weißt du vielleicht, welches Geschlecht ich habe?“ Der Frosch schaute ihn mit seinen großen Augen von oben bis unten an und quakte: „Da kann dir nicht helfen, kleiner Wurm. Ich bin ein Frosch und meine Geschlechterrolle ist klar, aber bei dir weiß ich es nicht.“

Enttäuscht kroch Rudi weiter, bis er auf eine kluge Eule traf, die in einem Baum saß. „Liebe Eule, du bist so weise. Kannst du mir sagen, welches Geschlecht ich habe?“ Die Eule drehte ihren Kopf und antwortete mit ihrer tiefen Stimme: „Oh das tut mir leid, ich kenne viele Geheimnisse des Waldes, aber das Geschlecht von Regenwürmern gehört nicht dazu.“

Rudi fühlte sich immer unsicherer und allein. Würde er jemals erfahren, welches Geschlecht er hat? Warum wusste das bloß keiner? Er fragte noch eine Biene, einen Fuchs und sogar eine alte Schildkröte, aber niemand konnte ihm eine Antwort geben. Schließlich begegnete er einer Schulklasse, die anscheinend mit ihrem Lehrer auf einem Ausflug war. Die Kinder sammelten Blätter und Steine, als der Lehrer Rudi entdeckte.

„Schaut mal, Kinder,“ sagte der Lehrer und hob Rudi behutsam auf, „hier haben wir einen Regenwurm. Wisst ihr, was das Besondere an Regenwürmern ist?“ Die Kinder schauten neugierig zu und einer von ihnen fragte: „Nein! Was denn?“

„Regenwürmer sind Zwitter,“ erklärte der Lehrer. „Das bedeutet, dass sie sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsorgane haben. Sie können also beide Rollen übernehmen, was in der Natur völlig normal ist.“

Ein Mädchen meldete sich und fragte: „Ist das nicht ein bisschen komisch?“ Der Lehrer lächelte und schüttelte den Kopf. „Nein, im Gegenteil. Bei Tieren spielt das Geschlecht oft keine so große Rolle wie bei uns Menschen. Für sie geht es einfach darum, das Beste aus ihrem Leben zu machen. Vielleicht sollten wir Menschen davon lernen: Es ist egal, welches Geschlecht jemand hat oder sich zuordnet, jeder von uns ist einzigartig und wertvoll.“

Rudi hörte aufmerksam zu und fühlte, wie eine Last von ihm abfiel. Er verstand nun, dass sein Geschlecht keine Grenzen für ihn setzen musste. Mit neuem Selbstbewusstsein ließ der Lehrer ihn vorsichtig wieder auf die Erde zurückgleiten. Rudi war bereit, die Reise seines Lebens anzutreten, ohne Angst und ohne Zweifel. Er wusste jetzt, dass er einfach er selbst sein durfte – ein kleiner Regenwurm mit einem großen Herzen.

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